Eine Welt oder keine Welt. Auf diese – zugegeben – simple Formel lässt sich ein Gedanke bringen, der unser Jahrhundert prägen könnte. Entweder wir finden eine Antwort auf die globalen Fragen im Sinne des Prinzips der Nachhaltigkeit, oder es steht zu befürchten, dass wir ein Jahrhundert der Gewalt erleben müssen. Klimawandel und Migration sind dabei Teilaspekte einer Situation, in der die Menschheit die natürlichen Grenzen des Wachstums erlebt und sich zugleich mehrheitlich einem kapitalistischen System verschrieben hat, dessen Credo ungezügeltes Wachstum und Profitmaximierung heißt.
Erstmals erleben wir am Beispiel des CO2-Ausstoßes der Industriegesellschaften im globalen Maßstab, dass Naturschranken überschritten werden. Mit einer Zeitverzögerung von etwa fünfzig Jahren wurden Prozesse einer Klimaveränderung eingeleitet, die in Zukunft zu raschen, sprunghaften Veränderungen der Lebensbedingungen in weiten Teilen der Erde führen können. Nicht nur die Anpassungsfähigkeit unserer Mitwelt, sondern auch die vieler menschlicher Gesellschaften wird über alle Maßen strapaziert.
Die Gefahren eines Überschreitens der Klimaerwärmung um mehr als zwei Grad Celsius sind sehr real und in verschiedenen Regionen der Erde wird der Temperaturanstieg deutlich höher liegen. Wir wissen heute alle, dass neun Milliarden Menschen in unserem Jahrhundert die natürlichen Lebensgrundlagen der Erde in Anspruch nehmen werden und dass der Lebensstil der wenigen reichen Länder auf der Welt nicht verallgemeinert werden kann. Wer wie der amerikanische Präsident bei Klimaverhandlungen erklärt, der „american way of life“ sei nicht verhandelbar, hat sich de facto schon für die Gewaltoption ausgesprochen.
Aber auch bei aller militärischen Übermacht ist diese Position letztlich nur hilflos. Wenn Obama den Einsatz einer Drohne (ein unbemannter militärischer Flugkörper) anordnet, denken wir gemeinhin an Afghanistan und Pakistan. Seine Einsatzbefehle gelten jedoch auch der Demarkationslinie zwischen Arm und Reich, zwischen den USA und Mexiko, gesichert von einem elektronisch gesicherten Sperrzaun in Texas. Auch Europa schottet sich ab. Ein Symbol dafür sind die gewaltigen Sperranlagen vor Ceuta und Melilla, den beiden spanischen Städten auf dem afrikanischen Kontinent. Die eineinhalb Meter hohen Natodrahtrollen der Ungarn wirken dagegen lächerlich klein.
Es ist die schreiend ungleiche Verteilung, wenn die 400 reichsten Menschen über so viel Einkommen verfügen wie die Hälfte der Menschheit, die den Flüchtlingsstrom weiter befördern wird. Wer meint, Flüchtlinge sortieren zu können in gute und schlechte, Kriegsflüchtlinge und Wirtschaftsflüchtlinge, hat nicht ausreichend nachgedacht. Es ist das Verhalten der reichen Industriestaaten, das die Lebensgrundlagen in Afrika untergräbt, Kleinbauern ruiniert und Fischer arbeitslos macht. Die Flüchtlinge fliehen vor uns, und sie fliehen zu uns. Der NaturFreund Willy Brandt hat das bereits 1976 warnend auf eine Formel gebracht: „Die reichen Nationen werden nicht reich bleiben, wenn die Armenhäuser der Menschheit wachsen.“
Es war dies auch ein Leitgedanke eines Antrages, den die NaturFreunde Deutschlands unter dem Titel „Kein Mensch ist illegal“ in den Kongress der NaturFreunde Internationale einbrachten. Zusammen mit unseren Freundinnen und Freunden in Europa und Afrika wollen wir eine Diskussion eröffnen, welche Perspektiven einer anderen Entwicklung möglich sind. Wir wollen der Angst entgegentreten, die von rechten Wahlkämpfern gerne geschürt wird, wenn es um das Thema Migration geht.
Nicht die Migranten sind das Problem, sondern ein System, das weltweit zu Verelendung und Armut führt. Hauptbetroffene von Migration in Afrika sind im Übrigen afrikanische Länder selbst. Alternativen für eine nachhaltige Zukunft zu entwickeln, ist unsere gemeinsame Aufgabe.
Hans-Gerd Marian
Bundesgeschäftsführer der NaturFreunde Deutschlands