Wie Pedelecs funktionieren und worauf bei der Anschaffung geachtet werden sollte
Aus dem Freizeit- und Touristikbereich sind Elektroräder heute nicht mehr wegzudenken. Auch im innerstädtischen Lieferverkehr gelten sie mittlerweile als ernst zu nehmende Alternative. Das liegt nicht nur an drohenden Fahrverboten nach dem Dieselskandal. Auch Parkplatznot, überfüllte Straßen und das moderne und ökologische Image von E-Rädern bewegen immer mehr Menschen zum Umdenken.
Natürlich: Mit Muskelkraft allein fährt es sich umweltfreundlicher, in der Kritik stehen insbesondere die ökologischen und sozialen Auswirkungen der Batterieproduktion. Allerdings sind Elektroräder Hochtechnologieprodukte, die mensch mit anderen Hochtechnologieprodukten vergleichen sollte. E-Räder können nicht nur einzelne Autofahrten, sondern auch -anschaffungen ersetzen bei deutlich geringeren ökologischen und sozialen Kosten. Diese Form der Mobilität kann unsere Städte ein Stück weit lebenswerter machen.
Neuigkeiten aus der Welt des Fahrrads veröffentlicht Autor Michael Weiß regelmäßig im Kettenblatt, dem Newsletter der NaturFreunde Radgruppe Stuttgart. Bei dieser Ortsgruppe dreht sich alles um das Radfahren, aus touristischer, sportlicher, kultureller, technischer oder politischer Perspektive. Die Radgruppe engagiert sich für eine nachhaltige Verkehrspolitik mit zukunftsfähigem Radverkehr, insbesondere in Stuttgart, aber auch bundesweit, zum Beispiel beim Thema Fahrradmitnahme im Fernverkehr.
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In Deutschland sind circa 3,5 Millionen E-Räder unterwegs, Tendenz: stark steigend. 2017 wurden 720.000 neue E-Räder verkauft, davon mehr als 21.000 Lastenräder mit Elektromotor. Einfache E-Räder sind bereits für 1.000 Euro zu haben, bei Qualitätsprodukten bewegen sich die Preise zwischen 2.500 und 5.000 Euro. Nachrüstsätze beginnen ab 800 Euro. Bei solchen Preisdimensionen ist eine Probefahrt bei dem_ der Fachhändler_in dringend angesagt – und nicht nur über den Hof. Wer ganz sicher gehen will, leiht sich das Rad für ein Wochenende aus.
E-Räder lassen sich im Wesentlichen in zwei Hauptgruppen unterscheiden: Pedelecs und S-Pedelecs. Zudem gibt es drei hauptsächliche Antriebsvarianten: Vorderrad-, Hinterrad- und Tretlagerantrieb. Beim Pedelec unterstützt der Motor bis zu einer Geschwindigkeit von maximal 25 Kilometern pro Stunde – allerdings nur, wenn pedaliert wird. Rechtlich gilt das Pedelec als Fahrrad. S-Pedelecs hingegen schalten erst bei Tempo 45 ab, Fahrende müssen mindestens 16 Jahre alt sein, brauchen einen Helm, meist einen Führerschein sowie ein Versicherungskennzeichen. Da ist dann auch eine Diebstahlversicherung enthalten.
Gewicht: 30 Kilo ohne „Saft“ nerven
Das Gewicht ist bei Elektrorädern ein ernstes Thema. Wiegt ein straßentauglich ausgerüstetes Trekkingrad zwischen 14 und 18 Kilogramm, ist ein entsprechendes E-Rad kaum unter 22 Kilo zu haben und schnell bis zu 30 Kilo schwer. Das macht sich unangenehm bemerkbar, wenn der „Saft“ ausgeht. Oder wenn das Rad in den Keller oder Bahnhof getragen wird. Auch in den Zug hinein zu kommen, kann ziemlich „hakelig“ sein.
Ein möglichst geringes Gewicht wird am ehesten mit Getriebemotoren erreicht, die sind klein und wiegen drei Kilo oder weniger. Planetengetriebe mit Plastikzahnrädern halten etwa 20.000 Kilometer und lassen sich leicht und preiswert austauschen. „Ewig“ halten dagegen sogenannte Direktläufermotoren. Allerdings sind die schwerer – ab 4,5 Kilo aufwärts – und größer. Dafür können sie „rekuperieren“, also beim Bergabfahren den Akku laden.
Wichtig ist auch die Frage, wie der Motor angesteuert wird: Mensch sollte hier unbedingt der Tretkraftsteuerung den Vorzug geben vor einer reinen Drehzahlerfassung. Erstere verstärkt die Kraft, die auf die Pedale gebracht wird, was ein fahrradähnliches Gefühl beim Fahren mit Motorunterstützung ergibt. Tritt mensch kräftig in die Pedale, gibt der Motor auch viel dazu. Die Drehzahlerfassung hingegen kann nützlich sein, wenn Fahrende schwach oder behindert sind, weil das Vorwärtskommen hier weniger von der eigenen Kraft abhängig ist.
Zu den Akkus: Heute werden fast ausschließlich Lithium-Ionen-Akkus angeboten – mit hoher Energiedichte, ohne Memoryeffekt und mit 1.000 oder gar 1.500 versprochenen Ladezyklen. Das ist allerdings eher Verkaufslyrik, denn die Akkus altern auch durch Zeitablauf. Ersatz kostet ab 400 Euro aufwärts. Viele Fahrten im Wohnumfeld oder auf dem Weg zur Arbeit sind übrigens mit 400 Wattstunden gut zu bewältigen, weshalb die Anschaffung allzu großer – und schwerer – Akkus gut überlegt werden sollte. Für weitere Ausflüge ist ein Zweitakku die bessere Wahl.
Nachrüstsätze: Bastlergeschick hilft
Der Kauf eines E-Rades will also nicht nur aufgrund der hohen Preise gut geplant sein. Wer bereits ein hochwertiges Fahrrad besitzt und relativ günstig in die Welt der Elektroantriebe einsteigen möchte, sollte Nachrüstsätze in Betracht ziehen. Ab 800 Euro sind Getriebemotorsätze mit Schraub-, beziehungsweise Kassettenzahnkranz für den Vorder- und auch Hinterradantrieb zu haben. Direktantriebssätze wie zum Beispiel von GoSwissDrive sind deutlich teurer, aber auch komfortabler, da mit Trittkraftsteuerung. Preislich dazwischen liegen Mittelmotorsätze. Bosch & Co. gehen hier nicht, da deren Produkte einen speziellen Rahmen verlangen. Typische Hersteller sind stattdessen Pendix, Schachner oder im oberen Leistungsspektrum Bikee Bike.
Für Radler_innen, die nur gelegentlich eine Motorunterstützung brauchen, sind Ultraleicht-Bausätze gedacht: zum Beispiel von Vivax – leider sehr teuer –, Velogical oder der Nachrüstsatz add-e von GP Motion. Die letzten beiden sind Reibrollenantriebe, bei denen der Antrieb direkt auf die Felge oder den Hinterradreifen wirkt. Getriebe- und Direktantriebssätze können leicht selbst montiert werden, sofern mensch keine zwei linken Hände hat. Bei Mittelmotoren sollte die Montage besser der_die Händler_in übernehmen, bei Vivax-Produkten ist das ein Muss. Und für Reibrollenantriebe ist Bastlergeschick nötig. Unterstützung gibt es vor allem in Internetforen.
Lastenräder: E-Modelle werden gefördert
In vielen Städten stellt die Post bereits per E-Lastenrad zu. Das sogenannte „Postrad“ mit seinen großen Körben ist eines von mehreren Lastenradtypen, die es alle auch elektrifiziert gibt. Das „Long-John-Rad“ hat eine tiefe Transportfläche zwischen Lenker und Vorderrad, der „Backpacker“ besonders große Gepäckträger am nach hinten verlängerten Rahmen, das „Christiana Bike“ eine Transportkiste auf der zweirädrigen Vorderachse. Zudem tauchen zunehmend E-Räder mit Anhänger im Straßenverkehr auf.
Manches E-Lastenrad kann 150 Kilogramm und sogar mehr transportieren. Die Einsatzmöglichkeiten variieren auch nach Ausrüstung und Aufbauten. NaturFreunde-Ortsgruppen könnten sich über rollende Infostände informieren. Die kommen immer sehr gut an.
Einstiegsmodelle sind allerdings kaum unter 2.000 Euro zu haben, Profivarianten dafür bis zu 10.000 Euro. Da ist es gut zu wissen, dass es Förderprogramme für Gewerbetreibende gibt: zum Beispiel beim Bund, in Berlin, Baden-Württemberg und der Region Hannover. Auch Privatanschaffungen werden gefördert: zum Beispiel in Bamberg, Dachau, Heidelberg, Limburg, München, Regensburg oder Sonthofen.
Wie begehrt diese Zuschüsse bis zu einem Drittel des Kaufpreises sind, zeigte sich Anfang Juli in Berlin: Das Förderprogramm wurde nach 24 Stunden gestoppt, mehr als 1.000 Anträge waren eingereicht worden, die 90.000 Euro Fördersumme damit ausgeschöpft.
Sicherheit: Finger weg vom E-Rad-Tuning
Wenn im Alter Knochen spröder werden oder Gleichgewichtsstörungen auftreten, können Stürze sehr gefährlich werden. Doch auch für jüngere Menschen bergen die hohen Geschwindigkeiten von E-Rädern ungleich höhere Verletzungsrisiken als das Fahren ohne Motorunterstützung.
Andererseits muss dem Eindruck entgegengetreten werden, dass das E-Radfahren per se immer gefährlicher wird. Zwar meldete das Statistische Bundesamt für die ersten neun Monate des Jahres 2017 rund 31 Prozent mehr Unfälle mit E-Rädern, gleichzeitig stieg aber der Bestand an E-Rädern um etwa 25 Prozent an, was die erste Zahl deutlich relativiert. Zudem sollte bedacht werden, dass E-Radfahrer_innen wie Fußgänger- und Radfahrer_innen so gut wie ungeschützt im Straßenverkehr unterwegs sind und bei Verkehrsunfällen selbst ohne eigenes Verschulden häufig schwer zu Schaden kommen.
So oder so: Die Sicherheit wird mit zunehmender Geschwindigkeit immer gefährdeter. Neben technischen Hilfsmitteln wie einem Helm, vielleicht auch ABS, Notbremsassistenten oder besonderen Beleuchtungssystemen, sollten sich E-Rad-Fahrer_innen deshalb insbesondere auf das langsame Kennenlernen der neuen Kräfte beim Beschleunigen, Bremsen sowie in den Kurven konzentrieren. Die NaturFreunde Österreich zum Beispiel bieten gerade im Rahmen ihrer E-Rad-Sicherheitskampagne spezielle Ausbildungen für E-Radfahrer_innen an. Ein Simulator vermittelt dabei das Fahrgefühl, Hindernisparcours trainieren die Koordination. Vergleichbare Schulungen dürfte es auch in deiner Nähe geben.
Und als letzten Punkt: Finger weg vom E-Rad-Tuning. Gerade jüngeren Fahrer_innen sind Pedelecs oft zu langsam, S-Pedelecs aber mit zu vielen Auflagen belegt. Da versprechen Tuning-Bausätze neuen Fahrspaß. Die Tragweite dieser Entscheidung ist kaum jemandem bewusst: Bei Unfällen kann neben einer schwerwiegenden Schädigung anderer Menschen auch die eigene Existenz bis hin zur Privatinsolvenz gefährdet sein.